wieder und nie

2008
wieder und nie – eine mehrkanalige Raum-Klangkomposition für 6 Walkman-Kopfhörer und einen Druckkammerlautsprecher im öffentlichen Raum.

Deutscher Klangkunstpreis 2008.

Die installative Raum-Klangkomposition wieder und nie ist für einen im Anhang genauer bezeichneten Ort im Rathaus der Stadt Marl entwickelt worden. Die Installation bezieht ihren Namen von dem gleichnamigen Gedicht des Autors Gunther Geltinger. Anknüpfend an den Themenkomplexen meiner bisherigen Arbeiten, verbindet wieder und nie Elemente des Hörstücks, der mehrkanaligen Raum-Klangkomposition und Raum-Klangskulptur.

Audioprogrammierung: Martin Rumori

 

DER ORT
Die Installation widmet sich einem Durchgangsort, einem Un- und Nichtort. Gänge führen hier hindurch, aber dem Plan nach nicht hin. Es gibt von diesem Punkt aus anscheinend keinen Anfang und kein Ende im Gangsystem. Der Passant, der hier vorbei kommt, befindet sich sowohl im Transit zwischen zwei Orten als auch mit sich selber zwischen der Privatperson und der Rolle des Bürgers, die er hier ausfüllen muss. Es handelt sich um einen Ort, an dem man nicht verweilen mag, weil er den Aufenthalt nicht im Programm hat, einen Ort, den man nicht bewusst erlebt. Hier kann man nicht ankommen, an diesen Ort hat der Passant keine Erinnerungen.

Für mich wirft der Ort dennoch Fragen auf
Wer ist hier gemeint?
Wer „kommuniziert“ hier mit wem?

Der Architekt spricht nur mit sich selbst. Aus kühnen Visionen abgeleitete Formen wurden hier im Bau manifestiert. Diese scheinen allerdings wenig mit den vermeintlichen Zielen späterer Benutzer zusammen zu hängen. Seltsam unwirklich wirken hier die Passanten auf den Gängen, unfunktional wirken manche optische Finessen (eine lange, steile Rampe!). Allenfalls ein „Hier musst Du klein ankommen“ oder „Hier geht es nicht um Dich, sondern die Idee von Dir (aber nicht Deine)“ drängt sich einem bei Betrachtung der Proportionen von Bau, Besucher und Umgebung auf. Eine Geste, die nicht ernsthaft im Sinne einer modernen Kommune und ihrer Verwaltung sein kann, die aber – ganz Manifest – keine Befragung im Alltag mehr duldet. Wegweiser geben Richtungen an, weisen hindurch und vorbei, auf Ziele hin, die an diesem Ort aber im Ungewissen liegen. Denn ob hinter der nächsten Biegung oder zwei Stockwerke weiter, das bleibt ein Geheimnis der unüberschaubaren Gänge, Öffnungen, Türen und Fenster. Schilder weisen auf Sozialamt, Ausländeramt, Kantine hin, deuten aber von diesem Ort aus gesehen, ins Unbekannte, Leere. Der einzelne Besucher, aber auch der Mitarbeiter, ist hier Statist, löst sich auf im Ganggewirr. Scheinbare chaotische Geräuschmengen (es geht nicht um Lautstärke) treffen aufeinander und durchdringen sich an diesem Ort, der aufgrund seiner Bauweise und Widmung nicht nur eine bestimmte Klangumgebung schafft, sondern eine klischeeartige Erwartungshaltung an das Hörbare und damit einen großen Teil des Erfahrbaren erzeugt. Jeder individuelle Klang wird geschluckt oder gedämpft, die Gesamtatmosphäre ist „mittig“, gleichförmig, ohne Spitzen und individuelle Charakteristika.

Zwar kann man das grundsätzlich über die meisten öffentlichen Bauten sagen, die Feststellung ist aber insofern für den weiteren Gedankengang wichtig, als unsere Erwartungshaltung an eine Klangumgebung unsere Wahrnehmung ausrichtet (ähnlich dem Fokus eines Richtmikrofons). Darüber hinaus wird diese Haltung durch den unsteten Zustand des Transits verstärkt:
Wir bewegen uns mit der verblassenden Erinnerung an Punkt A durch eine Raumstrecke X mit einem auf das Ziel (Ausländeramt, Sozialamt, Kantine) gerichteten Fokus nach B (nicht zwingend das Ziel, aber der nächste Wegweiser).

X gerät zur Klang-Schliere, in der sich der Ort und der Passant (als klingendes Individuum) auflösen. An diesem Punkt setzt die Installation an.

 

INSTALLATION
Es geht bei dieser Raum-Klanginstallation darum, den Raum in seiner vorbeschriebenen Prägung als architektonisches Objekt und akustische Umgebung aufzubrechen, also nicht nur umzugestalten oder gar ein akustisch interessantes Möbel einzufügen. Deshalb kann die äußere Form der Installation nur rau und vermeintlich improvisiert ausfallen. Es handelt sich bei ihr um eine Referenz an die Stellen unter den Schreibtischen, hinter den Schränken, neben dem Vorhang, hinter den Holzvertäfelungen. Die Stränge, die alles zusammenhalten und den Fluss garantieren, aber aus dem Bühnenbereich einer sich selbst inszenierenden Institution verschwinden müssen.

Das Gedicht wieder und nie wird installativ im Raum arrangiert und durch dessen Klangfärbung interpretiert, gestaltet aber gleichzeitig durch Rhythmus, Klang und Frequenz eben diesen Umgebungsraum um. Dies geschieht unter Zuhilfenahme von 6 modifizierten Kopfhörern, wie sie einstmals für den Walkman erfunden wurden und heute an jedem Handy oder iPod oder den Ohren ihrer Besitzer baumeln, und einem Ansagelautsprecher, wie er herkömmlicherweise für die Informationsverbreitung an öffentlichen Plätzen verwendet wird. Durch die getaktete Anordnung der Klangebenen verlaufen deren Zeitstrukturen parallel zum Zeitverlauf des Umgebungsraums. Diese Ebenen sind zwar komponiert, aber frei – anders als die Architektur der Umgebung und die vorherrschende bürokratische Ordnung (es lebe das deutsche Verwaltungsrecht!) – strukturiert, zwingen diese Strukturen sich niemandem auf. Sie sind angelegt, präsent, aber präsentieren sich ohne den komponierenden Hörer nicht oder kaum. Es geht also nicht um die Konzentration auf einen Klangraum allein, sondern um die Fokussierung auf den klingenden Raum und den durch sein sowohl assoziatives als auch analytisches Hören komponierenden Hörer im Raum.

wieder und nie von Gunther Geltinger

Am Anderen Ende des Sommers wartet
Ein Anderes Ende des Winters hat
das andere Ende der Schatten
vereist
liegen
die
Jahre
vor
mir
das

Andere Ende des Sommers

hinter
mir
das

Andere Ende des Winters entschuldigen
Sie ich spreche nicht ihre
Sprache wo finde
Ich der Straße

Anfang

DRAMATURGIE
Der Besucher trottet durch die Gänge des Gebäudes. Das Sichtfeld ist nach oben zunächst durch die Ganghöhe begrenzt. Am Ende des Sichtfeldes tauchen langsam und zunächst schwer identifizierbar, sechs schwebende Punkte auf. Aus diesen Punkten werden beim Annähern Linien, die – für den Umgebungsraum untypisch – aus der Decke zu kommen scheinen. Dann öffnet sich der Raum über die Ganghöhe hinaus nach oben, turmähnlich. Der Blick des Besuchers hebt sich. Kabel brechen in der Höhe scheinbar aus dem sorgsam arrangierten architektonischen Ordnungsgefüge aus, verweisen auf eine anarchische Unordnung, den momentanen Verlust einer angeordneten Disziplin, die der Widmung des Gebäudes und der intendierten Atmosphäre scheinbar widersteht.

Wurde hier versehentlich der Vorhang gelüftet?
Handelt es sich um einen Systemfehler oder einen systematischen Fehler?
Sind hier die Kulissen verschoben oder bröckelt die Fassade?

Gleichzeitig (spätestens jetzt) wird ein von den Kopfhörern ausgehendes Wispern hörbar, das dem Raum eine akustische Färbung gibt und die Ganggeräusche rhythmisiert. Der Eindruck von Unordnung währt nur für einen kurzen Moment, denn die Arbeit entpuppt sich sehr bald als Arrangement, als Komposition, weist interne Ordnung und Geordnetheit auf, fokussiert aber durch die inszenierte Offenheit auf den Passanten und den Ort. Unabhängig davon, wie lange der Besucher verweilt, kommt es zu einer Unterbrechung der Raum-Klang-Schliere, der Ort erfährt schlagartig eine atmosphärische Umgestaltung.

 

KOPFHÖRER – Klangräume in akustischer Umgebung
Klangfragmente permutieren zu mikroskopischen Raum-Klanggefügen vor, auf und zwischen den Ohren, die je nach Verweildauer und Umgang (Filter) mit den Kopfhörern zu einem Gesamtklang (Eindruck) wachsen und im Moment des Weggangs abrupt wieder zusammenfallen und als Erinnerung schon bald im Ganggefüge verebben.

Der Kopfhörer, seit Erfindung des Walkman in den 80er Jahren für viele zum ständigen Begleiter im Alltag geworden, wird zwischen Mensch und Umwelt geschaltet und modifiziert dadurch die subjektive Wahrnehmung. Durch den mobilen Miniaturkopfhörer verändert sich sowohl die Perzeption der Umgebung des Hörers als auch der Klänge aus dem Kopfhörer; beide Ebenen treten in eine artifizielle Beziehung, ihre charakteristischen auditiven Merkmale werden hervorgehoben. Der Kopfhörerstöpsel isoliert seinen Nutzer nicht nur mehr oder minder von der Umwelt und ihrer Wahrnehmung, er kann sie durch sinnlich-ästhetische Wechselbeziehungen auch neu bewusst machen, er kann darüber hinaus als Filter einen dritten Klang erzeugen.

wieder und nie ermöglicht einen spielerischen Umgang mit der subjektiven Umwelt- und Eigenwahrnehmung. Die Installation ist eine offene Einladung für ein „Jetzt“ und nicht für ein „Gleich“, “Später”, „Nachher“,„Vorhin“ oder „Gestern“. Dabei wird nicht ausgeschlossen, dass das „Jetzt“ variiert, verläuft, ergänzt und umgedeutet wird. Durch Nutzung des Kopfhörers kann die akustische Ebene der den Hörer umgebenden Umwelt von der optischen Ebene getrennt werden. Diese Spaltung des Raums in eine unabhängige optische Dimension und mehrere sich z.T. durchdringende akustische Dimensionen ermöglicht vielfältige Mischungsvarianten konkreter und assoziativer Eindrücke, in deren Mittelpunkt immer und allein der Passant steht. Dieser wird mit sich selbst rückgekoppelt. Es kommt zu seltsamen Momenten des Gegenübertretens und Erkennens. Beobachter und Beobachteter (Lauscher und Belauschter) werden in einer Person zusammengeführt.

 

KLANGEBNEN – DER RAUM IM GANG
Im Raum selber hört man ein Wispern aus den Miniatur-Kopfhörer. Ihr Lautstärkeverhältnis ist zum Pegel des gesprochenen Gedichts so abgestimmt, dass im Moment seines Auftauchens ein deutlicher Perspektivsprung bzw. eine Aufmerksamkeitsfixierung auf den Ort des Ansagelautsprechers hin stattfindet. Die Kopfhörer hängen ungefähr auf einer Höhe von 1,70 m in einem vor Ort zu ermittelnden Abstand, der ein Hindurch- oder Vorbeigehen der Passanten problemlos ermöglicht, gleichzeitig aber das Mischen der Klangebenen durch Nutzung zweier Kopfhörer (linkes und rechtes Ohr verschieden) ermöglicht. Obwohl die kleinen Klangquellen „im Gang“ hängen, stellen diese keine physische Barriere da. Das für den Betrieb der Installation und das Abspiel der Klangebenen verantwortliche Patch wurde von Martin Rumori in Supercollider programmiert . Die Summe aller Klänge wird durch das Richtmikrofon gemessen und im Programm ausgewertet. Sobald mehrere Leute den Raum betreten bzw. durchqueren, wird der Gesamtpegel aller Klangebenen bis zu einem Grenzwert angehoben, damit das Wispern und die Durchsetzungskraft des gesprochenen Gedichts eine gleich bleibende Präsenz im Raum haben (vgl. Skizzen – Mischungsvarianten).

 

I. wieder und nie – ein gesprochenes Gedicht
Alle 15 Minuten wird das Gedicht wieder und nie über einen Druckkammerlautsprecher in den Raum abgespielt. Das gesprochene Gedicht dauert 30 Sekunden. Die Art und die Bauweise und damit auch der Klangcharakter des Lautsprechers sind eine Referenz zu den alltäglichen „Durchsagesituationen“ an öffentlichen Plätzen, Bahnsteigen, in Schalterhallen. Allein als Objekt sind diese Symbol für Verhaltensregelung, Richtungsweisung, akustische Informationsvermittlung. Im Rahmen der Installation wird diese Zweckbestimmung durch den vermittelten Inhalt umgedeutet. Das Gedicht setzt sich offensichtlich nicht direkt mit der Kantine, dem Ausländer- oder Sozialamt auseinander. Die dichterischen Informationen werfen an diesem Ort vor allem Fragen nach dem Bezug auf oder weisen auf eine völlig andere Ebene hin. Aber genau durch diese Befragung wird der Ort und in ihm die Installation vom Unort zum individuellen Platzhalter des Passanten und sei es nur für seine Fragen, vielleicht sogar Assoziationen. Darüber hinaus wird der Raum in dem Moment, da das Gedicht erklingt, ein weiteres Mal akustisch uminszeniert. Alle darin befindlichen Klangebenen, die natürliche Raumumgebung, das Wispern der Kopfhörer, die einzelnen Spuren „in“ den Kopfhörern geben sich für 15 Sekunden als Teil einer Komposition, eines Raum-Klang-Gedichts zu erkennen. Danach folgen diese wieder ihren internen Strukturen und klingen für sich.

 

II. Anfang gestretched – musikalische Sphäre
Das am Ende des Gedichts auftauchende Wort Anfang, wird geschnitten, auf eine Länge von genau 14:30 (Min:Sek) gestretched aufgezeichnet und in der Installation zu hören sein. Durch die Bearbeitung wird aus dem gesprochenen Wort eine Art helle musikalische Sphäre, die sich ähnlich einem Drone langsam modulierend dahin bewegt . D.h. immer nachdem das Gedicht alle 15 Minuten mit einer Länge von 30 Sekunden im Umgebungsraum gesprochen wurde, setzt im Kopfhörer das Stück ein und endet, wenn das Gedicht erneut gesprochen wird. Steigt man als Hörer irgendwo auf der Zeitachse ein, hört man eine warme, fast verklärte Sphäre. Erst mit dem Aussetzen der Spur und dem Einblenden des gesprochenen Gedichts über den Ansagelautsprecher im Raum (Perspektivsprung) gibt es einen Hinweis auf die Herkunft (Frauenstimme) und die Struktur (Text) des eben im Kopfhörer Gehörten. Wenn man jetzt die wieder einsetzende Sequenz (Anfang – gestretched) verfolgt, entschlüsseln sich die schlierenartigen Klangverläufe als auseinander gezogene Buchstaben, die zusammen gesetzt das Wort „Anfang“ ergeben. Dann setzt das Gedicht wieder ein…

 

III. Richt-mikrofoniertes ICH
Hier kommt es zu einer Ausnahmesituation im normalerweise erfahrbaren Hörfeld. Der Besucher wird durch ein Richtmikrofon im Raum (über Kopf) stark fokussiert. Er kann über die Kopfhörer sich selbst, sein Körperbewegungen, seine Kleidung eingebettet in seinen Umgebungsraum aus vorbei laufenden Passanten, Gesprächen (…) und Geräuschen des Gebäudes aus der Vogelperspektive hören. Allerdings isoliert vom Umgebungsraum im eigenen Kopf. Er wird zum Belauscher und Belauschten gleichermaßen. Allerdings nicht als Opfer einer gegen ihn gerichteten Apparatur und auch nicht als Objekt einer Dritten dienenden Versuchsreihe. Er selbst bestimmt die Länge des hörbaren Ausschnitts und die Erfahrungsintensität. Durch Bewegen der Kopfhörer, durch Auf- und Absetzen sind Perspektivsprünge und -mischungen möglich. Hat der Passant diesen Kopfhörer auf, während das Gedicht erklingt, kommt es zu einer weiteren Ebenenmischung innerhalb der Inszenierung. Denn dann hört er das in dem Raum klingende Gedicht aus einer dritten Hörperspektive, wiederum im eigenen Kopf.

 

IV. Soundwalk zum Meer
Eine 60-minütige Aufnahme verfolgt die Schritte eines Spaziergängers von seiner Haustüre bis zum Meer. Der Fokus des aufnehmenden stark gerichteten Mikrofons liegt auf den Schritten und den Geräuschen der verschiedenen Untergründe: Asphalt, Waldboden, Gras, Sand. Um diese Fokussierung herum sind Umgebungsgeräusche wie Vögel, Autos, Passanten, Fahrräder etc. zu hören. Bei Ausblendung der optischen Eindrücke (Marler Rathaus) entsteht ein assoziativer Ort im Kopf. Der Hörer bewegt sich hinaus aus der verbauten und predefinierten Umgebung bis hin zu dem Ort, an dem sich alle Bilder und Töne rauschend und brausend verbinden – dem Meer. Bei geöffneten Augen – erfährt man eine akustische Abkapselung mit skurriler visueller Szenerie.

 

V. Kontakt-mikrofonierte Bodenplatte – die eigenen Füße
Das Gehörte ist zunächst fremd, findet keine Entsprechung in der gewohnten, leicht identifizierbaren Geräuschumgebung. Zu hören sind Kratzen, Knirschen, Schleifbewegungen. Dann wird klar, dass es die eigenen Füße sind, die auf der Bodenplatte Geräusche erzeugen, die über die Kopfhörer ganz nah an das Ohr gelangen. Aber nicht nur die eigenen Schritte, sondern alle mit der Platte in Berührung kommenden Gegenstände und Personen, sind abhörbar. Das Gehörte kann durch die eigenen Körperbewegung gesteuert werden, allerdings mit dem anderen Ende des Körpers. So entsteht ein eigenartiger „Loop“ zwischen Ohren und Füßen über den Raum. Gleichzeitig sind Perspektivsprünge durch Auf- und Absetzen der Kopfhörer (Subjektive/Totale) möglich.

 

VI. b.u.c.h.s.t.a.b.i.e.r.t.e.s. Gedicht – Regress des Ortes auf das gesprochene Wort
Das Gedicht wird einer buchstabengetreuen, formalistischen Prüfung unterzogen. Das zeitlos komponierte Schwarz auf Weiß wird verbal in seine Bestandteile (Buchstaben) zerlegt und Sekunden genau in die Zeit eingepasst, gesprochen. Bürokratisch behandelt, verliert es seine Strahlkraft, wird zu Material, geht auf in akustischen Fragmenten. Ein Durchgang dauert dann genau 9:45 min. Erst in der viertelstündlichen Einblendung des gesprochenen Gedichts lässt sich hinter den losen Buchstabengruppen eine Bedeutung vermuten, ermöglicht der Perspektivsprung Verdachtsmomente, die überprüft werden können, hierfür dann aber ein hohes Gut einfordern: die Zeit.

 

VII. Auftauendes Eis
In der Vorbereitungsphase der Installation wird ein Piezo-Transducer in Wasser eingetaucht (vgl. Stieleis) und eingefroren. Über ein Kabel mit einem Aufnahmegerät verbunden, wird dann über einen Zeitraum von einer Stunde der Auftauvorgang bei durchschnittlicher Raumtemperatur des Installationsorts aufgezeichnet. Knackser, Risse, Splitter, Bursts in unvorhersehbaren Rhythmen und Folgen sind zu hören. Hierbei könnte es sich um einen Verweis auf die Textstelle „…Ein Anderes Ende des Winters hat das andere Ende der Schatten…“ handeln. Die Raum-Klanginstallation bewegt sich aber auf allen Ebenen in der assoziativen und konkreten Atmosphäre des Ortes und des eingebrachten Texts. Das abgeleitete Ereignis ist sich selbst genug, kann, muss aber nicht in einen weiteren Zusammenhang gestellt werden.

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