{kA}: keine Ahnung von Schwerkraft

2010-2015
{kA}: keine Ahnung von Schwerkraft
– Werkreihe mit Gebäude-Klangkompositionen im (halb-)öffentlichen Raum.

Ausgehend von Graz wurden sechs leerstehende Gebäude in verschiedenen europäischen Städten als Klangräume genutzt und als integraler Bestandteil von mehrkanaligen Klangkompositionen verstanden und erfahrbar gemacht. Hierzu enstand eine Werkreihe von Kompositionen mit und in diesen Gebäuden. Weiter wurden auf diese Weise Erfahrungswerte gesammelt, wie klangkünstlerisch auf ortsspezifische Gegebenheiten reagiert werden kann bzw. diese umweltbedingten akustischen Charakteristika Teil einer vorher nicht existierenden Komposition werden können.

Die Reihe wurde jeweils Publikum vor Ort zugänglich gemacht, dokumentiert und für verschiedene Abhörsituationen aufbereitet.
Eine CD-Reihe mit Booklets und zusammenfassendem Katalog schließt den Zyklus ab.

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…So stark dieses Erlebnis einer ersten Raum-Musik auch war,
so zeigte sich doch von Anfang an die Schwierigkeit,
diese Musik in einem Raum vorzuführen,
der für ganz andere Zwecke gebaut wurde.
Es müssen neue, den Anforderungen der Raum-Musik angemessene Hörsäle gebaut werden…
(STOCKHAUSEN, Musik im Raum 1958)


Diese nach der Uraufführung vom Gesang der Jünglinge niedergeschriebenen Zeilen schildern ein mittlerweile klassisches Problem der elektroakustischen Aufführungspraxis. Im Studio produzierte Kompositionen treffen im herkömmlichen Konzertsaal auf für ihren Klang und ihre Struktur meist ungeeignete akustische Bedingungen. Als Konsequenz hat man entweder Klang-Raumreproduktionsverfahren entwickelt, die eine Raumbespielung möglichst unabhängig von der jeweiligen Raumsituation erlauben, oder spezielle Säle für die elektroakustische Vorführung gebaut.

Mit dem Ansatz, den ich im Rahmen der Kompositionsreihe {kA}: keine Ahnung von Schwerkraft verfolge, gehe ich konzeptionell und kompositorisch den umgekehrten Weg.

Nachdem ich mich die letzten Jahre mit der Raum-Klangkomposition in Ambisonics und WFS beschäftigt habe, bei denen der Raum der Klangreproduktion eine eher nachgeordnete Rolle spielt, möchte ich in der Folge den Raum als Ausgangspunkt und untrennbaren Bestandteil der Komposition verstehen. Meiner Feststellung nach – trotz aller interessanter theoretischer Überlegungen und Hintergründe zu Ambisonics oder Wellenfeldsynthese, Sweet Spot oder Sweet Field – spielt der Kompositions- und Aufführungsraum eine grundlegende und nicht konservierbare oder gar transportable Rolle für den Gesamtklang und die Wahrnehmung. Der Raum ist somit häufig nicht Bedingung für die Produktion oder die Wahrnehmung, sondern fester Bestandteil der Komposition.

LEERSTAND ALS THEMA KÜNSTLERISCHER AUSEINANDERSETZUNG
Künstlerisch interessant und für diese Kompositionsreihe wichtig ist die Thematisierung eines gesellschaftspolitischen Phänomens.
Gebäudeleerstand hat es zwar immer schon gegeben, aber in den letzten Jahren wurde dieser in Innenstädten und Randbereichen immer auffälliger. Manche Fußgängerzonen sind oberhalb der ebenerdigen Geschäftszeile nahezu verwaist. Während man früher allenfalls durch diskrete Schilder des Maklers auf die Mietmöglichkeiten eines Objekts hingewiesen wurde, haben in den letzten Jahren die Transparente mit der Aufschrift „Zu vermieten, provisionsfrei abzugeben!“ stetig größere Dimensionen an den Fassaden angenommen, während gleichzeitig ein paar Meter weiter ein Bürobauboom stattfindet.
Es geht mir nicht um die oberflächliche Anprangerung harter spekulativer Wirtschaftspraktiken.
Dennoch findet im Rahmen der Arbeit eine temporäre Umwidmung eines Orts statt, der als „leer“, im wirtschaftlichen Sinne nutzlos, meist über viele Jahre hermetisch gegen die Umwelt abgeriegelt, auf seinen Abriss bzw. seine Entkernung wartet, gleichzeitig aber eine eigene Geschichte, Gestaltung und Atmosphäre birgt.
Diese Eigenheiten können in der künstlerischen Inszenierung erfahrbar werden.
Die einseitige – meist abwertende – Sicht- bzw. Hörweise auf diese Leerstellen oder gar Nicht-Orte in unserer unmittelbaren Nachbarschaft kann durch die alternative Interpretation des Ortes erweitert werden.
Diese Nicht-Orte sind auch Chancen.

MOTIVE
Ich möchte eine Alternative zu existierenden kompositorischen Praxen erarbeiten. Die elektroakustische “Studiokunst” soll mit der Alltagswelt konfrontiert werden.
Mir geht es jedoch nicht um die einmalige Erprobung einer kompositorischen Idee in einem Gebäudekontext, sondern um die sukzessive Erforschung der sich aufgrund dieser Rahmenidee ergebenen klangkünstlerischen Möglichkeiten an verschiedenen Orten mit ihren jeweiligen akustischen und baulichen Eigenheiten und ihrer Geschichte mittels eines zu entwickelnden und im Prozess zu verfeinernden Grundinstrumentariums. Sowohl die Komposition als auch das Lautsprecherkonzert sollen also nicht in einem für elektronische Musik gebauten Saal oder Studio stattfinden, sondern an einem Ort, der üblicherweise einem anderen Zweck dient oder gedient hat und der durch seine baulichen Beschaffenheiten integraler Bestandteil bzw. Ausgangspunkt der Komposition und der Aufführung wird. Das Ziel ist hier, eine andere (neue) Praxis der Raum-Klangkomposition zu finden. Gebäude sollen beim Betreten kompositorisch “gelesen” werden können, die Komposition beginnt mit dem ersten “geübten” (Hör-)Eindruck. Dieser Eindruck soll, als Erfahrung gefestigt und durch Übung zu Wissen verfestigt, in einer kompositorischen Antwort als eigenständige Raum-Klangkomposition mitgeteilt werden.

INSTRUMENTARIUM
Das hierfür erforderliche Instrumentarium besteht vor allem aus einem Setup von 32 aktiven Lautsprechern (nebst D/A-Wandlern, Audiointerface, Laptop, Stativen, Kabeltrommeln, Cases mit Rollen) und einem diskreten Mehrkanalsystem, die es ermöglichen, das Gebäude sensibel und differenziert akustisch anzuregen bzw. zu bespielen.
Dieses Instrumentarium wurde vom Institut für Elektronische Musik und Akustik der Kunstuniversität Graz nach mehrmonatiger Planungs- und Testzeit angeschafft und entwickelt und steht mir in Kooperation mit dem Institut zur Verfügung.

KOOPERATIONEN
Das Projekt sucht sich von Anfang an Kooperationspartner, um raumbezogene Fragen entwickeln, diskutieren und abgleichen zu können. Wie „lesen” z.B. Architekten den visuellen Gebäuderaum? Welche akustischen Kriterien kann man beim Bau in die Gestaltung mit einfließen lassen?
Was bedeuten bestimmte Baustoffe und Materialien hinsichtlich der Gestaltung des visuellen und/oder akustischen Lebensraums?
In wie weit deckt sich unser derzeitiges Wissen über Raumwahrnehmung mit den aktuellen Bauweisen?

1 KOMPOSITION
Die erste Phase der Arbeit widmet sich dem allgegenwärtigen Leerstand von Gebäuden.
In Geschäftsstraßen, Wohn- und Industriegebieten stehen immer mehr Gebäude immer länger leer. Die verlassenen und von der Umgebung isolierten Gänge, Büroräume, Keller und Treppenhäuser können als Resonanz-, Konzert- und Aufzeichnungsorte genutzt werden.

Kompositorisch geht es mir vor allem darum, die Arbeit am Ort und aus dem Ort heraus zu entwickeln. D.h. die Komposition wird nicht, auch nicht in Teilen, im Studio vorproduziert und dann an den jeweiligen Raum angepasst, sondern die klang-raumkompositorische Arbeit beginnt immer erst im Moment des Betretens des Gebäudes. Keller können als natürliche Hallräume verwendet; Fenster geöffnet werden, um die Umgebungsgeräusche mit einzubeziehen; Türen können als Filterung eingesetzt werden. Die Dämm- bzw. Reflexionseigenschaften der vor Ort verbauten Materialien wie Teppichböden, Glas, Holz, Stahl können sowohl bei der Positionierung der Lautsprecher als auch bei der Entwicklung des Klangmaterials eine Rolle spielen. Ortspezifische Klänge des Gebäudes können mit einbezogen werden, aber auch Geschichte und ursprüngliche Widmung können Anstoß oder Motivation für die Klangentwicklung und Strukturierung sein.

a BEGEHUNG
Jedes Gebäude wird zunächst, so weit wie möglich, ausführlich begangen. Das Hören der ortspezifischen Klänge ist immer der Ausgangspunkt für weitere Überlegungen, das Ohr ist im gesamtkompositorischen Prozess das wichtigste Werkzeug.

b RAUMBEFRAGUNG
Aufgrund der bei der Begehung gemachten Erfahrungen findet dann, in einem weiteren Schritt, ein Art Raumbefragung statt.
Hierzu habe ich einen konzeptuellen softwarebasierten Werkzeugkasten entwickelt. Standard-Anwendungen, die die Räumlichkeiten „testen“ wie z.B. Eigenfrequenz, Hallzeiten, Absorption, Grenzfrequenz, Raumeigenmoden.Verwendet werden MAX/MSP-Patches für die Spatialisierung und für schnelles Testen eines Klangraums, z.B. mehrkanalige (im Gebäude) rotierende Bursts, tiefe kurze Pulse, hochfrequente Wellen, verschiedene Tonhöhen für verschiedene Räume, um das Gebäude akkordisch stimmen zu können. Weiter verwende ich Templates für das Arrangement und die Klangorganisation mit Filtern und EQs in den Kanalzügen und Mehrkanalausgabe. Darüber hinaus habe ich Standard-Klangfolgen und -Arrangements entwickelt, die bekanntes, mir vertrautes Klangmaterial beinhalten, um einen ersten Raumeindruck zu bekommen.

Im Grunde nähert man sich dem Gebäude durch ein zunächst standardisiertes Frage-Antwort-Spiel (akustischer Fragebogen), das dann erweitert und variiert werden kann.

MEINE HAUPTFRAGE: Wie reagiert der Ort?

Es geht in diesem Stadium jedoch nicht ausschließlich darum, eine Vorbereitung oder einen Einstieg in die Komposition zu finden, sondern dem Ganzen liegt die Annahme zugrunde, dass die Antworten sich zu weiteren Hör-Erfahrungswerten verdichten, so dass man bei jedem neuen Gebäude die Fragen genauer oder direkter stellen kann und die Eigenschaften des Materials, den Raum und das Zusammenspiel mit der Umgebung vielleicht sogar zu lesen lernt.

c KOMPOSITORISCHE ANTWORT
Aufgrund der so gemachten Erfahrungen entsteht dann das Stück, am Ort aus dem Ort.

Dies kann bedeuten
01 Einbeziehung der akustischen Gegebenheiten
02 Verwendung ortsspezifischer Klänge
03 Modifizierung ortspezifischer Klänge
04 Spatialisierung von Klängen im Gebäude
05 Völlige Verweigerung gegenüber akustischen Gegebenheiten und ortsspezifischen Klängen.

Weitere Fragen
Wie kann man einen Ort akustisch (um-)gestalten?
Wird der Ort hierdurch ein anderer, weil seine Wahrnehmung eine andere wird?
Gibt es eine akustische Architektur?

Hierbei entsteht implizites künstlerisches Wissen, das die neue Praxis informiert bzw. deren Basis wird. Dieses spezifische Wissen kann folglich nur anhand von Werken, also der Arbeit im Gebäude und aufgrund seiner prägenden Wirkung, mit den hiervon ableitbaren Erfahrungen für weitere Arbeiten entstehen.

2 KONZERT
Für die Zugänglichmachung und „Vor-Ort-Wahrnehmung“ der Arbeit sind verschiedene Szenarien denkbar. Auch hier ist das Gebäude mit seinen baulichen und akustischen Eigenschaften ausschlaggebend.

Zum einen können in einem Komplex verschiedene „Plätze“ bestuhlt werden, an denen die durch das Gebäude gefärbten Klänge „zusammen kommen.“ Z.B. Bestuhlung eines Treppenhauses, das verschiedene Etagen verbindet, oder von Kreuzungsräumen in einem Gangsystem. Wenn mehrere Abhörplätze gefunden werden, ist auch das mehrmalige Abhören eines Stückes aus verschiedenen Hörperspektiven möglich. Das Publikum würde dann nach jedem Durchgang die Hörplätze wechseln. D.h. das Konzert würde in diesem Fall aus dem gleichen Klangmaterial mit verschiedenen Gebäudefärbungen und -filterungen bestehen. Aber auch unbestuhlte mehr installative Formen sind denkbar, wie z.B. ein begehbarer Hörparcours in einem klingenden Gebäude oder eine nur einen Spalt aufstehende Tür, ein Lüftungsschacht oder ein Fenster als fixer Abhörpunkt für eine dahinter liegende Klangwelt. Bei für Publikum unzugänglichen Gebäuden ist auch die Aufzeichnung der Komposition an einer bestimmten Abhörposition (Soundfield-Mikrofon hängend im Treppenhaus, Kunstkopf auf einem Stativ im Kellergewölbe) denkbar. Die Aufzeichnungen könnten dann live in den Cube des IEM gestreamt oder auf Festplatte festgehalten und im Rahmen eines Kopfhörerkonzerts vorgestellt werden. Auch eine ambisonische Widergabe im Mumuth der Kunstuniversität wäre denkbar.

3 DOKUMENTATION – Video/Photo
Teil der Arbeit ist die visuelle Dokumentation des Projekts vom Moment der Aufbauarbeiten über die Experimentier- und Kompositionsphase bis hin zum Stadium der Präsentation und Aufzeichnung. Dabei geht es weniger darum, die fertige Arbeit zu visualisieren oder zu erklären, als die im Prozess gefällten Entscheidungen und in der Praxis gemachten Erfahrungen festzuhalten und visuell zu unterstützen, damit die verschiedenen Gebäudesituationen bzw. praktischen Problemlösungen auch in der Zukunft erinnerbar und somit nutzbar sind. Eine Fotodokumentation hält den Ort für den jeweiligen Katalog fest.

DOKUMENTATION – Audio
Wichtiger in diesem Zusammenhang ist die Audio-Aufzeichnung dieser speziellen Klang-Raumsituation. Hierbei kann man zunächst eine sehr puristische Auffassung vertreten, in dem man annimmt, dass die Komposition so eng mit dem Ort verbunden ist, dass sie ohne diesen nicht existieren kann und somit die Aufzeichnung überflüssig ist. Man kann aber auch das gegebene Setting nutzen, um eine Audioaufnahme zu machen, die nur so möglich ist und im Ergebnis eine andere, eigenständige Arbeit darstellt. Gerade in der Aufzeichnung ergeben sich interessante Möglichkeiten, den Klang des Gebäudes oder die charakteristischen klanglichen Eigenschaften des Orts mit einzufangen und musikalisch zu nutzen. D.h. nach Begehung, Befragung, Komposition und Vorführung erfolgt also ein letzter Schritt, der sich mit der Mikrophonierung und Aufzeichnung der jeweiligen Orts-Klangsituation auseinandersetzt.
Hier sind dann Perspektivsprünge möglich (außen und innen, nah und fern, etc.) sowie die Separierung der Quellen und ihres unmittelbaren Umgebungsraums auf einzelnen Tracks und auch Raummischungen auf einer gemeinsamen Zeitachse. Auch die oben angesprochene ambisonische Aufzeichung für ein Lautsprecherkonzert im Cube oder Mumuth oder im Rahmen einer binauralen Radiosendung könnte in diesem Zusammenhang interessant werden, da das klangliche Ergebnis zwar komponiert und arrangiert wurde, aber außerhalb des anderen „Abhörraums“ entstanden ist und somit seinen eigenen charakteristischen Raumklang mitbringt.

DISSKUSSION – AUSWERTUNG
Die Aufnahmen sollen dann einer weiter reichenden interdisziplinären Diskussion über Komposition im öffentlichen Raum unter Einbeziehung architektonischer Gesichtspunkte (Raum, Materialien, Gebäudegestaltung, Gebäudenutzung) zur Verfügung gestellt werden, deren Ergebnisse wiederum in die zukünftigen Überlegungen am jeweils neuen Ort einfließen könnten. An dieser Diskussion sollen Architekten, Soziologen, Städteplaner, Komponisten und Medienkünstler beteiligt werden.

{kA}: keine Ahnung von Schwerkraft geht von dem akustischen Potential von Orten in Gestalt urbaner Leerstände aus und verräumlicht sie in der kompositorischen Weiterentwicklung und hörbaren Manifestation ihrer Klangimplikationen. Michel de Certeaus Ansatz, Raum und Ort zu differenzieren, liefert hierbei einen passenden, weil seinerseits auf Alltagsgegebenheiten ausgerichteten Rahmen. Sein Orts- und sein Raumkonzept sind in seine soziologischen Theorie des Alltagslebens eingebettet (‘Invention du Quotidien. Vol. 1, Arts de Faire, Paris 1980 (deutsch: Kunst des Handelns, Merve Verlag, Berlin 1988). Ort bezeichnet darin das Eigene, eigentlich das Originäre, das sich definitorisch scheidet von demjenigen, was es nicht ist. Gegenüber einer solcherart stabilen Konstellation ist Raum ein dynamisches Konzept. Raum entsteht aus Ort und zwar qua Eingriff, was Certeaus handlungstheoretischen Argumentationsrahmen plausibel macht. Raum ist “ein Resultat von Aktivitäten, die ihm eine Richtung geben, ihn verzeitlichen”. Die Rede von richtungsweisenden Vektoren, die den Raum “als eine mehrdeutige Einheit von Konfliktprogrammen und vertraglichen Übereinkünften” funktionieren lassen, zeigt deutliche Nähe zu Formulierungen der Akteur-Netzwerk-Theorie. Michel Callon und Bruno Latour nehmen in ihren Texten mehrstufige Prozesse der Erzeugung von Übereinstimmung in Netzwerken an, im Zuge derer unterschiedliche Aktanten ihre Interessen und Ziele aufstellen und verändern, Handlungsprogramme und Gegenprogramme aufgefahren und Aktanten neu eingeführt, umdefiniert oder entfernt werden (vgl. Ingo Schulz-Schaeffer: Kapitel VIII. Akteur-Netzwerk-Theorie. Zur Koevolution von Gesellschaft, Natur und Technik. In: Johannes Weyer (Hrsg.): Soziale Netzwerke. Konzepte und Methoden der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung. München. 2000, S. 187–211, abgerufen am 25.3.2011). Die hierbei angenommenen Übereinkünfte, Verhandlungen oder allgemeiner gesprochen der mit dem Ziel der Etablierung von Situationen betriebene kommunikative Austausch ist für die Komposition einer akustischen Raumwerdung eines Orts nicht nur metaphorisch zu deuten: Ortskoordinaten, messtechnische Geräte, die die Ortsperspektiven akustisch abtasten, klangerzeugende und klangmodulierende Geräte stellen neben dem Komponisten und anderen Protagonisten des künstlerischen Prozesses Aktanten dar, die die Ausgestaltung der Raumklänge und Klangräume als Ergebnis ihrer gegenseitigen Einflussnahme programmieren. Certeaus Bild für die Transformation von Ort in Raum ist der Gehende, der die geometrische Festlegung eines Orts dynamisiert. keine Ahnung von Schwerkraft praktiziert eben diese Transformation, indem auf bestehende Ortskoordinaten referierende Klänge zu Gehenden werden, neue Vektoren ausprägen. keine Ahnung von Schwerkraft verdeutlicht, dass die Raumwerdung gleichsam die Generierung von virtuellem Raum bedeutet. Neben dem Differenzkriterium der Bewegtheit, das dem Ort stets einen “reglosen Körper” zuordnen und dem Raum einen sich bewegenden Körper zuordnet, hebt Certeau in Konsequenz seiner handlungstheoretischen Grundorientierung auf die Handlungen ab, die Orte quasi historisieren, ihnen als Räume Geschichte geben. keine Ahnung praktiziert eine Art Historisierung der einem Ort abgehörten Klänge, indem diese mit Klängen der Ortsnutzung in Beziehung gesetzt werden. Die Klänge der Ortsnutzung müssen in einer Art Feldforschung ermittelt werden, um sie teilweise als Vektoren, teilweise als Gegenkräfte oder schlicht als Bewegungselemente des virtuellen Raums zu inszenieren.
(Gerriet K. Sharma, Juni 2010)

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