wiegenlied

2009-2010
wiegenlied – eine Klanginstallation in der Vertretung des Landes Nord Rhein Westfalen in Berlin.
Die Installation widmet sich den akustischen Eigenschaften und Gegebenheiten der Eingangshalle der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen beim Bund-Berlin unter kompositorischer Einbeziehung von Klangfragmenten des Bundeslandes.

Konzeption, Komposition und Installation: gksh
Software-Programmierung: Gerhard Eckel und David Pirrò

 

RAUM
Der Raum soll hier nicht als Abspielkammer für eine vorgefertigte Komposition dienen, sondern als Klangkörper erforscht und als Teil der Komposition eingesetzt werden. Dabei spielen die verwendeten Baumaterialien WIE Glas, Holz, Stahl, Beton etc. ebenso eine Rolle wie Bauhöhe und Umgebungsklänge, aber auch die von den Nutzern im Verlauf eines Tages gemachten Geräusche, wie das Öffnen und Schließen von Türen, Schritte, Gespräche, und die Dynamik des so entstehenden Geräuschpegels. Die Summe dieser Klänge gibt dem Raum in diesem Gebäude ein charakteristisches Gepräge, eine spezifische Atmosphäre, die kein zweiter Raum so hat und haben wird. Durch das Hinzufügen der Raum-Klangkomposition soll diese Stimmung mit ihren Facetten nicht „überspielt“ oder „ausgelöscht“ werden, sondern erweitert und interpretiert.

KLANGMATERIAL
Die verwendeten Klänge sind aus meinem Archiv entnommene, in den Medien gefundene und zum Teil neu aufgezeichnete Klangspuren aus Nordrhein-Westfalen. Akustische Details und Gesten wurden gefiltert, geschnitten, durch Prozessierung geformt und nach einer aus den Dynamiken des bespielten Raums abgeleiteten Partitur in Raum und Zeit arrangiert.

ERINNERUNGSSPEICHER und ZEITMASCHINEN
Unsere akustische Umgebung setzt sich aus ungehörten, zum Teil unerhörten Details zusammen. Die meisten nehmen wir dennoch unbewusst wahr und in uns auf. Ihre Existenz, ihr Platz und ihre Wichtigkeit als Teil einer Erfahrung, einer Stimmung werden uns häufig erst bei ihrem Ausfall, Fehlen oder bei plötzlicher Hervorhebung oder Isolierung bewusst. So formen wir die gehörte Welt in uns in mehr unterbewussten Momenten der Wahrnehmung zur bewusst wahrgenommenen Darstellung der als real empfundenen Welt.

Ein Geräusch vermittelt neben dem akustischen Klangbild auch Informationen über den Ort, die Beschaffenheit und die Gestalt seiner Quelle. D.h. Schwingungen im physikalischen Sinne transportieren Informationen über den Zustand ihres Herkunftsorts. Akustische Signale werden in fast allen Medien wie Luft, Erde, Wasser übertragen (Luftschall, Körperschall, Flüssigkeitsschall), sind messbare und aufzeichenbare Verweise auf ihre Quellen. Die aufgezeichneten Klänge sind aber gleichzeitig auch Erinnerungsspeicher für denjenigen, der die Aufnahmen gemacht hat, und Zeitmaschinen für diejenigen, die mit dem jeweiligen Klang eine Geschichte verbinden können, denn sie fühlen sich häufig „daran“ erinnert und an den Ort ihrer Assoziation versetzt. Diese aufgezeichneten Informationen lassen sich weiter formen, arrangieren und komponieren, ähnlich wie bewegte Bilder, nur vielschichtiger (polyphon), verwobener. Klänge durchdringen sich und werden durch das im Vergleich zum Auge wesentlich sensiblere Organ des Ohrs als akustisches Gefüge in der Zeit „begreifbar“.

ARCHIV und WELT
Diese Verweise lassen sich auch auf vielen Speichermedien als oft unbemerkte Artefakte im Hintergrund eines Super 8 Films, auf privaten VHS-Aufzeichnungen, Interviews und in Spielfilmen finden. Während der Fokus dieser Medien häufig auf der Darstellung einer bestimmten visuellen Konstellation zwischen Personen oder Gebäuden liegt, wurden die „Hintergrundgeräusche“ entweder unbewusst mit aufgezeichnet oder zur Authentifizierung des medial komponierten Augenblicks montiert. Bahngeräusche, Autobahnklänge, Marktszenen, Stadtklänge, Rauschen eines Flusses…: diese Geräusche sind in uns so fest als „Welt“ verankert, dass wir bei der Veränderung oder gar beim Ausbleiben der meisten dieser akustischen Details verwundert innehalten würden, denn obwohl häufig eben nicht bewusst wahrgenommen, verbinden wir mit diesen Geräuschen den Arbeitsplatz, den Weg zum Arbeitsplatz, die Wohnung, die Umgebung unserer Wohnung, den Garten von Opa und Oma usw..

ANREGER und INSTRUMENT
Für die Bespielung des Raums werden sechs Lautsprecher horizontal und vertikal fixiert und ausgerichtet. Hierbei werden diese sowohl als „Anreger“ des vorhandenen architektonischen Klangraums als auch als Instrumentalisten verstanden, die in einen kommunikativen Austausch im Raum untereinander verwickelt sind. Das Klangmaterial wurde in 22 Strophen, Miniaturkompositionen, arrangiert, die verschiedene Aspekte der Raum-Klangkomposition aufgreifen. Raumrhythmisierung, -stimmung, -koordinatenwechsel, -punktierung, -färbung, -gewichtung, -bewegung und –staffelung sowie Atmosphärendifferenz werden abhängig von den diesbezüglichen Eigenschaften des verwendeten Materials und im Verhältnis zu den jeweiligen Wirkungen im Raum immer wieder neu verarbeitet und kombiniert. Die Dynamiken des Gesamtraumklangs werden mit einem Mikrofon gemessen und fließen als Steuerungsdaten in das den Klang produzierende und arrangierende Programm mit ein. Werden die Umgebungsgeräusche lauter, so wird die Gesamtlautstärke der Installation proportional angehoben, allerdings nur bis zu einem gewissen Grenzpegel, ab dem sich der Klang zurückzieht, bis der Pegel wieder unterschritten wird. Die kompositorisch beabsichtigte Grundlautstärke der Arbeit soll unterhalb einer durchschnittlichen für den Raum angenommenen Gesprächslautstärke (3 Personen) liegen. Zudem gibt es kompositorische Regeln für die Häufigkeit der Wiederholungen und die Möglichkeit der Abfolgen der Strophen.

AN- und ABWESENHEIT
So reagiert die Installation zunächst dynamisch auf die akustischen Ereignisse des Umgebungsraums, wird aber gleichzeitig auch zum prägenden akustischen Bestandteil, da sie immer wieder an unterschiedlichen Stellen aus der Gesamtgeräuschkulisse hervortritt, z.B. wenn es Gesprächslücken gibt, Gedankenpausen eingelegt werden oder die Komposition der Einzelstrophe einen bestimmten Klang exponiert, der sich von seiner Umgebung für einen Moment abhebt. Nach jedem Strophendurchlauf folgt eine Pause von 10 Sekunden. (Umgekehrt könnte man die Komposition auch als Raum-Klangstrukturierung durch die wiederholte Erzeugung von 10 Sekunden Stille mit verschieden langen Zwischenteilen beschreiben.) D.h. selbst schwer wahrnehmbare rhythmische, klangliche Ereignisse im Raum werden im Moment ihres Auftauchens bzw. Verschwindens durch das Verändern der Atmosphäre mittels Einsatz bzw. Abbruch als Bestandteil eines Gesamtklangs identifizierbar.

wiegenlied ist anwesend und abwesend zugleich, schreibt sich in den Raum ein, ohne ihn zu überschreiben oder gar zu illustrieren. Ob die Arbeit ein Konzert, eine Installation, nur Hintergrundrauschen oder vielleicht gar nicht ist, hängt vor allem von der subjektiven Höreinstellung des Besuchers ab.

Die Arbeit wurde ermöglicht und gefördert durch new talents – Junge Biennale Köln und die Vertretung des Landes NRW beim Bund.

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